Literatur erzählt von Erfundenem, sie ist fiktional – Diese weit verbreitete Annahme verweist zunächst einmal auf die Frage, worum es sich bei Fiktionalität und ihrem vermeintlichen Gegenteil, der Faktualität, überhaupt handelt. Hinzu kommen zahlreiche Beispiele literarischer Texte, deren Fiktionsstatus unklar ist oder die offenkundig faktual sind: Essays, autobiografische Berichte, Autobiografien, Memoiren und viele andere mehr. Außerdem werden wir immer häufiger mit Literatur konfrontiert, die sich auf der Grenze zwischen Fiktion und Fakt bewegt (z.B. Autofiktion). Und schließlich führt das zu der Frage, wie wir mit Literatur umgehen, von der wir ahnen, dass sie von wahren Begebenheiten erzählt, die aber vorgibt fiktional zu sein (Stichwort "Schlüsselroman“) oder die ihren Fiktionsstatus vortäuscht.

Fiktionale Literatur steht in den meisten Fällen im Zentrum literaturwissenschaftlichen Arbeitens. Das kann dazu führen, dass Fiktion als konstituierend für Literarizität angesehen wird. Ziel des Seminars ist es daher die Perspektive zu wechseln und sich vor allem literarische Texte anzuschauen, die faktual sind oder ihren Status verunklaren. Dazu wird es zunächst einer Klärung bedürfen, woher das moderne Verständnis von Fiktion kommt, was für Fiktions- und Faktualitätstheorien es gibt und wie sie sich unterscheiden oder gar widersprechen (Panfiktionalismus, Institutionenmodell u.a.). Im Anschluss daran wird sich das Seminar auf dieser Grundlage mit den genannten Fragen anhand ausgewählter Primärtexte auseinandersetzen und nicht zuletzt auch der Frage nachgehen, wie wir Literatur mit unserer Realität in Bezug setzen.