Der Untergang der europäischen Kontinentalreiche in Osteuropa nach dem
Ersten Weltkrieg schien spätestens seit der folgenden Parade der
Nationalstaaten und der Entstehung des Kommunismus unumkehrbar zu sein.
Doch selbst ein flüchtiger Blick auf die Kulturen der Region offenbart,
dass das imperiale Erbe – sei es in Form restaurativer Nostalgien, sei
es durch (teilweise gewaltsame) Entflechtungsbestrebungen – erstaunlich
präsent ist. Handelt es sich um die neoimperialen Ambitionen des
heutigen Russlands oder die andauernde „Identitätssuche” in Polen und in
der Ukraine, die Auseinandersetzung mit den gestrigen Imperialmächten
und ihren Kulturen ist aktueller denn je, bekam sogar mancherorts den
Charakter eines unerbittlichen Schatten- und Kulturkampfes. Vom
Ukraine-Krieg, von der Nato- bzw. EU-Erweiterung bis zum Erfolg
rechtspopulistischer Parteien – die Angst vor einer imperialen
Vereinnahmung ist selbst bei ehemaligen Hegemonialmächten wie Russland
oder der einst multikulturellen pol-nischen Adelsrepublik mit ihrer
eigenen mission civilisatrice sehr groß. In unserem Seminar
werden wir verschiedenen Aspekten imperialer Erfahrung und ihrem
postsozialistischen Nachspiel nachgehen. Anhand exemplarischer
Fallstudien aus Literatur, Film und zeitgenössischer Musik werden wir
sowohl die Troubadouren des Imperiums (Puskin oder Gogol’) als auch ihre
Gegenspieler – die Barden und Helden der Peripherie (Wallenrod, Mazepa)
kennenlernen und damit ein besseres Verständnis für die Region und ihre
postimperialen Gemengelagen entwickeln.
- Dozent/in: Roman Dubasevych