Die Entstehung der Gotik gehört zu den meistdiskutierten Fragen der
mittelalterlichen Kunstgeschichte. Der Bau der Abteikirche von Saint-Denis gilt
als „Gründungsbau“, der auch insofern aus der Fülle der Denkmäler herausragt,
als der Bauherr Abt Suger in mehreren Schriften über seine Motive und Absichten
Rechenschaft abgelegt hat. Die Forschung zur gotischen Kathedrale hat an diesem
Bau die unterschiedlichsten Denk- und Deutungsmodelle entwickelt. Wir werden in
dem Seminar sowohl die Texte Sugers in Auswahl (und übersetzt) lesen, als auch
die Deutungsvorschläge: als Abbild des himmlischen Jerusalem (Hans Sedlmayr),
als Zeugnis scholastischer Lichtmystik (Erwin Panofsky), aber auch als
bautechnisches Meisterwerk und politisches Repräsentationsmittel (Dieter
Kimpel/Robert Suckale). Die „gotische Kathedrale“ ist das Maßstab, an dem sich
die Wege, aber auch Irrwege, des Faches Kunstgeschichte exemplarisch aufzeigen
lassen. Es zeigt sich, dass sich jede Epoche kunsthistorischer Forschung ihre
eigene Kathedrale „gebaut“ hat. Dies gilt es im Seminar an ausgewählten
Texten der genannten Autoren (und einiger
anderer) zu hinterfragen.
- Dozent/in: Gerhard Christian Weilandt