Gottfried Keller gilt als einer der bedeutendsten deutschsprachigen Autor*innen des 19. Jahrhunderts. Seine Texte – allen voran der Roman Der grüne Heinrich (1855) und die Novellensammlung Die Leute von Seldwyla (1856) – machen ihn nicht nur, so zumindest Walter Benjamin, zu einem der „drei oder vier größten Prosaiker der deutschen Sprache“, sondern auch zu einer der zentralen Figuren eines „Poetischen Realismus“. Mit diesem Begriff werden jene literarischen Strömungen bezeichnet, die in der Zeit von 1848 bis etwa 1890 im deutschsprachigen Raum dominant waren, und die „das Wahre“ (Theodor Fontane) zum Gegenstand der Darstellung machen wollen.

Dass ein solches Anliegen seine ästhetischen und ethischen Probleme mit sich bringt, liegt auf der Hand. Während die Theoretiker und Verfechter eines Realismus (Vischer, Ruge, Prutz) also mit aller Emphase die Auseinandersetzungen auf poetologischer Ebene führen, hält sich Keller in diesen Diskussionen zurück und profiliert sich als produktiver Autor v.a. zahlreicher Novellen.

Eine Auswahl dieser Erzählungen (u.a. „Pankraz, der Schmoller“, „Romeo und Julia auf dem Dorfe“) soll im Seminar gelesen werden, um anhand einer konkreten Lektüre literarischer Texte einen Überblick über zentrale Fragestellung eines literaturhistorischen Zusammenhangs zu geben.