Russisch-ukrainische kulturelle Mischformen haben seit dem Beginn des
Krieges in der Ostrukraine nicht nur eine schlechte Presse, sondern viel
schlechte Literatur und andere kulturelle Produktion hervorgebracht.
Dies spiegelt zum einen die spezifische Kriegsführung, die selbst als
„hybrid” bezeichnet wird. Zum anderen – eine alte Tradition, die sich
auf die konflikthaften Seiten des Zusammenlebens beider Nachbarn
konzentrierte und sie im kulturellen Kanon festschrieb. Die Vorstellung
eines heimtückischen subalternen Verräters an den Westen, der
Mazepa-Anhänger (mazepynci), die das Bild der Ukrainer in der russischen Literatur dominierte, standen die Figuren der arroganten und brutalen „Asiaten” (moskali),
die die Ukraine eroberten und versklavten. Entsprechend war kaum Gutes
von der Verbindung beider Kulturen zu erwarten. Dennoch wurde die Figur
des vertrauten, „eigenen Fremden” bzw. „Anderen” nicht immer als Quelle
von Unheil angesehen. Vom gemeinsamen Ursprung in der Kyїver Rus’ bis zu
Film, Literatur, Rock- und Pop-Kultur war der Austausch zwischen beiden
Kulturen nicht nur der Motor intensiver kultureller Kreativität und die
Frage mutiger Grenzgänger:innen, sondern ein Alltagsphänomen. In
unserem Seminar werden wir sowohl unterschiedliche Formen der
russisch-ukrainischen Entfremdung als auch der Annäherung kennenlernen.
Mit ihrer Hilfe werden wir ein Verständnis dafür entwickeln, wie die
Verflechtung zwischen beiden Kulturen zu einem Fluch in Gestalt des
aktuellen „undenkbaren” Kriegs im Donbas werden konnte, und wie man
ihrer gewaltsamen Entflechtung entgegenwirken kann.
- Dozent/in: Roman Dubasevych