„Nennen wir die Zeit jetzt, nennen wir den Ort hier.“ Der Beginn von Terézia Moras erstem Roman Alle Tage (2004) lässt bereits erahnen, dass es in den erzählerischen Texten der Autorin und Übersetzerin um das Erfassen einer dezidiert gegenwärtigen Lebenswirklichkeit gehen soll. Deren Erschließung durch Sprache muss allerdings immer prekär bleiben, selbst mit den besten Absichten, wie Mora sie etwa in ihren Frankfurter Poetik-Vorlesungen formuliert: „[D]as Destruktive […] in etwas Konstruktives um[]wandeln. Den Text finden, der die Störung ordnet.“ Die schwierige Bestimmung des Verhältnisses von Sprache und Gegenwart, die realistische Verfahren immer darstellen, zieht sich als stetige Neuaushandlung durch die Arbeiten der Autorin. Dabei ist neben dem Debütroman, der sich mit der Geschichte des mysteriösen, entwurzelten Außenseiter-Sprachgenies Abel Nema auseinandersetzt, vor allem der zentrale zweite Teil der Trilogie um den IT-Experten Darius Kopp zu nennen: In Das Ungeheuer (2013) begibt sich der Protagonist auf die Suche nach der Geschichte seiner Partnerin, die sich das Leben genommen hat. Die aus dem Ungarischen übersetzten Laptop-Notizen offenbaren ihm eine bisher unbekannte Seite der Verfasserin, die von der drastischen Auseinandersetzung mit Depression, sexueller Gewalt und Armut bestimmt ist. Wenn Kopps Leben auf der Oberfläche aus den Fugen gerät, ist auch für die Rezipient*innen die Lektüre durch unterschiedliche (Tiefen-)Ebenen strukturiert – ein erzählerisches Verfahren, deren gespenstischen Effekte eine besondere Rolle spielen.

 

Im Rahmen des Seminars soll anhand der Lektüre und Diskussion von Roman(-auszügen), Erzählungen und essayistischen Texten ein Verständnis für das Schreiben einer deutschsprachigen Gegenwartsautorin gewonnen werden. Dabei sollen neben Fragen nach Schreib- und Darstellungsverfahren auch vielfältige Themen und Kontexte betrachtet werden, die in Moras Werk eine Rolle spielen: Sprache und Realität, Fremdheit und Marginalisierung, Melancholie und Depression und nicht zuletzt, was die Autorin unter Gegenwartsliteratur versteht: „NICHT DIE WELT BESCHREIBEN, sondern eine GEGENWELT schaffen.“