Sind die Realisten, die sich in den Literaturzeitschriften des 19. Jahrhunderts über poetologische Programme und Ambitionen streiten, angetreten, die Wirklichkeit so darzustellen, wie ‚sie wirklich ist‘, so ist ein Befund auf den ersten Blick verwunderlich: Bestandteil der Welten eines poetischen oder bürgerlichen Realismus, der „das Wahre [will]“ (Fontane), sind erstaunlich oft Figurationen des Gespenstischen – Phänomene also, denen in den Epistemologien des aufgeklärten Rationalismus vermeintlich kein Platz zugedacht ist. Ob bei Theodor Storm, Adalbert Stifter oder eben Theodor Fontane: In den Texten dieser Autoren wimmelt es von Spukphänomenen, werden Gespenster beschworen und es kommt zu unheimlichen Heimsuchungen. Literaturwissenschaftler*innen wie Elisabeth Strowick oder Christian Begemann nehmen diese Gespenster des Realismus in den Fokus und kontextualisieren ihn u.a. als eine Reflexionsfigur romantischer Positionen oder auch als erkenntnistheoretische Formationen der Moderne. So werden spezifische Probleme der Darstellbarkeit von Wirklichkeit für den Realismus des 19. Jahrhunderts verhandelbar.

Anhand der Lektüre von einschlägigen literarischen Texten sowie wissenschaftlichen Forschungsbeiträgen sollen die Gespenster des Realismus zum Gegenstand des Seminars gemacht werden. So werden einerseits Kenntnisse der Literaturgeschichte des 19. Jahrhunderts erworben, andererseits soll eine Verknüpfung literaturtheoretischer und -historischer Problemstellungen gelingen.