Kunst und Literatur dürfen alles sein, nur nicht mittelmäßig. Mittelmäßigkeit selbst ist ursprünglich aber gar nicht negativ besetzt. Im Gegenteil: Als ethisches Ideal, als dramentheoretisches Konzept oder als künstlerisches Prinzip ist die richtige Mitte immer wieder von besonderem Interesse gewesen, was der ‚goldene Mittelweg‘ in der Ethik, der ‚mittlere Mann‘ im Drama oder der ‚goldene Schnitt‘ in der Malerei bezeugen. Erst mit der Entdeckung des mathematischen Durchschnitts und der statistischen Durchschnittlichkeit im 19. Jahrhundert erhält die Mittelmäßigkeit ihren pejorativen Beigeschmack, der ihr bis heute anhaftet. Die Literatur des 19. Jahrhunderts, vor allem des Realismus, setzt sich eingehend mit dieser ‚neuen‘ Durchschnittlichkeit auseinander und widmet sich nicht nur im Hinblick auf die Gestaltung der Figuren eingehend Fragen von Normalität und Exemplarität. Mittelmäßigkeit als schwerwiegender ästhetischer Vorwurf ist im Zeitalter der Massenkultur allgegenwärtig. Etwa wenn der Filmförderung in Deutschland nachgesagt wird, sie erzeuge eine „Diktatur der Mittelmäßigkeit“.
In dem Seminar verfolgen wir die historisch wechselhafte Geschichte von Mittelmäßigkeit und Durchschnittlichkeit anhand unterschiedlichster Texte und Filme; neben literarischen Texten lesen wir auch ästhetische und soziologische Überlegungen zur Mittelmäßigkeit und Durchschnittlichkeit.
- Dozent/in: Sebastian Haselbeck