„Postmigration” sowie „postmigrantisch” sind Begriffe, die seit ihrer Prägung in den 1990er Jahren inzwischen ihren Weg in vielfältige Diskussionszusammenhänge gefunden haben. Nicht nur wissenschaftliche Veröffentlichungen, etwa zu einer „Postmigrantischen Gesellschaft” oder zum Verhältnis von „Postkolonialismus und Postmigration”, sondern auch die Feuilletons operieren mit damit, auch wenn die Geschichte wie Theoretisierung des Begriffs durchaus komplex ist: Seit Shermin Langhoff, die Intendantin des Maxim-Gorki-Theaters, ihn in die Debatte brachte, sind damit zuerst die „Perspektiven und Geschichten derer [bezeichnet], die nicht selbst migriert sind, diesen sogenannten Migrationshintergrund aber als persönliches Wissen und kollektive / familiale Erinnerung mitbringen”. Der Soziologie Erol Yildiz weist zudem darauf hin, dass es postmigrantischen Positionen auch darum gehe „die Geschichte der Migration neu zu erzählen und das gesamte Feld der Migration radikal neu zu denken”. Stimmen, die derartige Versuche darstellen, sind etwa im von den Autor:innen Fatma Aydemir und Hengameh Yaghoobifarah 2019 herausgegebenen Sammelband Eure Heimat ist unser Albtraum versammelt oder werden vom Publizisten Max Czollek unter dem Titel Gegenwartsbewältigung (2018) als ein „Manifest für die plurale Gesellschaft” positioniert.

Auch und gerade in Form romanhafter Literatur bekommen postmigrantische Perspektiven zunehmend mehr Aufmerksamkeit, nicht erst seit Aydemirs eigenem, 2022 für die Shortlist des Deutschen Buchpreis ausgewählten Text Dschinns (so u.a. Yaghoobifarah: Ministerium der Träume, 2021; Mithu Sanyal: Identitti, 2021; Ronya Othmann: Die Sommer, 2020; Olivia Wenzel: 1000 Serpentinen Angst, 2020). Dabei ist fraglich, ob ein Label wie „postmigrantische Literatur” ausreicht, den vielfältigen Perspektiven und Ästhetiken derartiger Texte gerecht zu werden, ohne dabei ihre individuelle Beschaffenheit, ihren konkreten Kontext und ihre (Vor-)Geschichte aus den Augen zu verlieren.

Anspruch und Ziel des Seminars ist es, entlang der Reflexion einer Verschlagwortung „postmigrantischer Literatur” ein Gespür für Gegenwartsromane und ihren historischen wie theoretischen Kontext zu entwickeln. Dazu sollen nicht nur literarische Texte gelesen, sondern auch ihre literaturwissenschaftliche Erschließung, journalistische Diskursivierung, sowie begriffstheoretische Herkunft und Integration durch die Lektüre von Forschungs- und weiterer Sekundärliteratur beobachtet werden. Im Rahmen des Modul 7 / Aufbaumodul II soll so auch eine historisierende Perspektive auf ein gegenwartsliterarisches Feld vermittelt und in seiner Komplexität erschließbar gemacht werden.