Der russische Angriff auf die Ukraine löste nicht nur einen massenhaften Widerstand der ukrainischen Bevölkerung gegen das russische Militär, sondern eine breite Ablehnung der russischen Kultur aus. Der entflammte Kulturkampf reicht vom Boykott der russischen Kulturschaffenden und Institutionen bis zur Umbenennung tausender Straßen, demonstrativem Sprachwechsel oder dem jüngsten Verbot der russischen Umgangssprache an der renommierten Kyiv-Mohyla Akademie. Während ein Teil der russischen Eliten allein in der Existenz des Ukrainischen eine Bedrohung für den russischen Staat zu sehen begann, bekam der symbolische Abschied vom Russischen in der ukrainischen Gesellschaft den Namen der „Dekolonisierung”. Dabei wurde ein direkter Zusammenhang zwischen der russischen Zivilisation, dem sog. russkij mir (russische Welt) und der militärischen Aggression, zwischen „Tolstojevskij” und Putin postuliert. Zugleich wurde die Zurückdrängung der russischen Kultur als eine absolute Grundlage für den Weg der Ukraine zur Freiheit und Demokratie proklamiert.
In unserem Seminar werden wir uns mit den Hintergründen dieses „clash of civilizations” (S. Huntington) beschäftigen. Am Beispiel der Stellungnahmen ukrainischer und russischer Kulturschaffenden, aber auch anhand der Klassiker aus der Vergangenheit und Gegenwart werden wir nach „toxischen” kulturellen Inhalten suchen. Zugleich fragen wir nach modernen Faktoren kultureller Kriegsführung: von ihrer Verbindung zur US-amerikanischen cancel culture und allgegenwärtigen Debatten um die politische Korrektheit bis zu antikolonialen Bewegungen des globalen Südens. Die Folgen dieses Imperativs für das friedliche Zusammenleben beider Kulturen stehen dabei im Vordergrund.
- Dozent/in: Roman Dubasevych