Posthumanistische Diskurse haben in jüngster Vergangenheit erneut an Dringlichkeit gewonnen: Ist ‚der Mensch‘ von der einen Seite bedroht durch eine globale Klimakatastrophe, dessen Verursachung er sich selbst zuzuschreiben hat, lauern auf der anderen die technologischen Neuerungen künstlicher Intelligenzen wie virtueller Realitäten und scheinen an seiner Position an der Spitze einer Schöpfung zu rütteln.

Während in der Literatur gerade Fantasy- und Science-Fiction-Autor:innen diese Thematiken in utopische bis dystopische Erzählungen anderer Welten und Zeiten übersetzt haben, ist ‚der Posthumanismus‘ auch angetreten als Kritik dieses Koordinatensystems. Theoretiker:innen, die diesem Label zugeordnet werden, hinterfragen den Anthropozentrismus (nicht nur) künstlerischer Darstellungen und stellen ihm Konzepte wie einen ‚Agentiellen Realismus‘ (Karen Barad, 2012), ein Projekt des ‚Making Kin‘ (Donna Haraway, 2016) oder einen prozesshaften Monismus (Rosi Braidotti, 2016) entgegen. Dabei nehmen derartige Theoriebildungen oft auch Inspiration von literarischen Perspektiven, wie sich etwa an der Wirkmächtigkeit von Autor:innen wie Ursula K. Le Guin („The Carrier Bag Theory of Fiction”, 1986) zeigt.

Auch in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur ist ein Aufschwung explizit posthumanistischer Perspektiven und posthumanistisch lesbarer Erzählungen beobachtbar. Während I.V. Nuss (Die Realität kommt, 2022) ein postapokalyptisches Untergangsszenario und die Gemeinschaft sich durch verschiedene Realitätslayer glitchender Subjektivitäten entwirft, verhandelt Lisa Krusche („Für bestimmte Welten kämpfen und gegen andere”, 2020) explizit Theoriebildung des Posthumanismus und Hannes Bajohr ((Berlin, Miami), 2023) experimentiert mithilfe großer Sprachmodelle ganz konkret mit einem nicht-menschlichen Erzählen. Als weitere Autor:innen, die im Kontext des Seminars eine Rolle spielen, seien genannt: Charlotte Krafft (Die Palmen am Strand von Acapulco, sie nicken/Eine endlose Geschichte über den Tod in einer fremden Welt, 2020), Jakob Nolte (Schreckliche Gewalten, 2017) sowie Dietmar Dath (Die Abschaffung der Arten, 2008).

 Für die literaturwissenschaftliche Arbeit offenbart sich im Zuge dessen nicht nur ein Gegenstandsbereich, der aktuelle Diskurse auf spezifische Art verhandelt, die es zu erschließen gilt, indem Themen, Figuren und Welten der Darstellungen untersucht werden, sondern es tut sich noch eine weitere spannende Perspektive auf, die die Textverfahren betrifft. So ist es gerade auch das Erzählen, das – etwa als „speculative fabulation”, also spekulatives Fabulieren, bei Haraway – eine große Rolle in der Ausrichtung posthumanistischer Philosophie führt, mit weitreichenden Implikationen für erzähltheoretische Ansätze: Wie könnte ein Text überhaupt aussehen, der von einer nicht-menschlichen Erzählinstanz vermittelt wird? Wie lassen sich räumliche und chronologische Regeln und Kategorien modifizieren oder gar auflösen? Was macht eine ‚Figur‘ überhaupt aus, welchen Entitäten wird in einem Erzähltext agency zugesprochen und welchen nicht? Es scheint, als brauche das erzähltheoretische Instrumentarium, mit dem die Literaturwissenschaft seit Genette und Stanzel arbeitet, vor dem Hintergrund eines möglichen ‚posthumanistischen‘ Erzählens eine Generalüberholung.

Für die Bearbeitung der genannten Romane und Erzählungen ist es notwendig, sich ein Verständnis vom Begriff des Posthumanismus zu verschaffen und ihn z.B. vom Transhumanismus abzugrenzen. Im Anschluss kann die Frage nach einem „posthumanistischen Erzählen” in zwei Richtungen beantwortet werden: 1. Wie sind Texte beschaffen, die Themen des Posthumanismus verhandeln? 2. Darauf aufbauend: Wie kann ein posthumanistisches Erzählen überhaupt aussehen und welche Implikationen hätte dies für narratologische Perspektiven?