Zur Erklärung des deutschen Jugendwortes "cringe" im Jahr 2021 fasst der Langenscheidtverlag dessen Bedeutung knapp zusammen: "Cringe drückt ein Gefühl des Fremdschämens aus und kann auch als Adjektiv Gebrauch finden. So kann es zum Beispiel 'cringe' oder 'cringy' sein, wenn Erwachsene, beim Versuch cool zu wirken, Jugendsprache verwenden." (https://www.langenscheidt.com/jugendwort-des-jahres-2021). Cringe bezeichnet also sowohl einzelne Phänomene wie etwa sprachliches Agieren von Erwachsenen, aber zugleich auch die dadurch ausgelöste Reaktion der Fremdscham. Es wird außerdem verwendet, um soziale Differenzierungen (hier: alt versus jung) zu markieren. Ausgehend von dieser sprachlichen Praxis wird das Seminar die Frage aufwerfen, ob cringe auch als eine ästhetische Kategorie der Gegenwart verstanden werden kann. Aus dieser Frage ergeben sich die drei Schwerpunkte des Seminars: 1. Ästhetische Theorie: Nach einer kurzen Einführung in die Grundlagen der historischen Ästhetik und ihrer Abwendung von Ekel und Drastik zugunsten des Schönen und Erhabenen werden wir uns mit Positionen der Gegenwartsästhetik beschäftigen. Wie lassen sich Grundzüge einer Cringe-Ästhetik beschreiben? Welche Rollen spielen Grenzen des guten Geschmacks, Körperbilder und Affekte wie Scham und Peinlichkeit in diesem Zusammenhang? 2. Cringe-Comedy: Insbesondere im Genre der Sit-Com ist cringe als ästhetische Beschreibungskategorie inzwischen etabliert, so wurde etwa Fleabag als cringe feminism diskutiert. Mit Blick auf deutschsprachige Produktionen wie StrombergDie Discounter oder Jerks werden wir über die Frage nachdenken, warum cringe gerade im Bereich komischer audiovisueller Genres so große Erfolge feiert. 3. Cringe-Literatur: Inwiefern lässt sich cringe auch zur Beschreibung literarischer Texte heranziehen? Sind sie gebunden an postdigitale Formate wie etwa Stefanie Sargnagels Statusmeldungen? Oder können wir literarhistorisch auch weiter zurückgehen und ganz andere Texte an der Grenze von Scham, Peinlichkeit, Ekel und Drastik auch als ein cringe-Phänomen beschreiben?