Vor dem Hintergrund gegenwärtiger gesellschaftlicher Krisen stellt sich auch die Frage nach den Möglichkeiten, Grenzen, Formen und Praxen engagierter Literatur oder literarischen Engagements erneut. Erst vergangenes Jahr bestand Thea Dorn in der Zeit hinsichtlich jener Krisen darauf, die Sphäre der Literatur von der des Politischen zu trennen, während Juli Zeh 2004 an gleicher Stelle der Literatur an sich eine soziale und politische Rolle zuwies. Die unterschiedlichen Auffassungen beider Schriftstellerinnen bilden in etwa das Spektrum ab, innerhalb dessen vor allem im 20. Jahrhundert das Verhältnis von Literatur und Engagement eingehend und kontrovers verhandelt wurde. Lässt sich Engagement annähernd zwar bestimmen als »frei gewählte Verpflichtung des Individuums auf überindividuelle Ziele« (Helmut Peitsch) und das literarische vom politischen oder ethischen abgrenzen, so ist Ersteres doch alles andere als eindeutig bestimmbar. Das bezeugen die divergenten Reflexionen auf den Begriff in der Philosophie, der Literaturtheorie und der Literatur selber, wie sie insbesondere in Auseinandersetzung mit Sartres Essay »Was ist Literatur?« von 1947 vollzogen wurden.

Im Seminar wollen wir die Debatten über das Verhältnis von Literatur und Engagement im 20. Jahrhundert an deren entscheidenden Positionen nachvollziehen, sowohl in der Philosophie und Literaturtheorie (Lukács, Benjamin, Sartre, Barthes, Adorno) als auch in der Literatur (Bachmann, Weiss, Handke, Enzensberger). Weil dem Begriff des Engagements eine zentrale Bedeutung in der Literaturtheorie des 20. Jahrhunderts zukommt, hängen mit ihm auch solche ästhetischen Konzepte zusammen, die in (vermeintlicher) Opposition zu ihm stehen: L’art pour l’art, autonome, reine und absolute Kunst. In der Diskussion der Texte berühren wir also grundlegende Fragen nach dem Status, der Funktion und der Wirkungsweise der Literatur in der Gesellschaft und Kultur sowie die, ob und wie Literatur und Engagement gegenwärtig im Verhältnis zueinander stehen.