In der germanistischen Literaturwissenschaft bezeichnet der Begriff ‚gestörte Mahrtenehe‘ Erzählungen über die partnerschaftliche und erotische Verbindung eines Menschen, meist eines Mannes, mit einem übernatürlichen Wesen, typischerweise einer Fee oder Dämonin. Die menschliche Seite der Beziehung gewinnt durch sie Wohlstand und Ansehen, verliert jedoch alles, sobald ein auferlegtes Tabu verletzt wird.

Die narrative Konfiguration der gestörten Mahrtenehe erweist sich epochen- und kulturübergreifend als äußerst produktiv. Vergleichende Analysen solcher Erzählungen aus unterschiedlichen kulturellen Kontexten ermöglichen es, sowohl Darstellungsformen – etwa Metaphoriken und Erzähltechniken – als auch kulturelle Ordnungsmuster wie soziale Hierarchien, Geschlechterkonstruktionen oder Magiekonzepte zu untersuchen. Diese Perspektive schärft nicht nur das Verständnis für die Besonderheiten einzelner Texte, sondern eröffnet zugleich Einblicke in ganz unterschiedliche literarische und religiös-kulturelle Kontexte der Vormoderne.

Im Verlauf des Semesters werden wir ausgewählte Mahrtenehe-Erzählungen (teilweise in Auszügen) lesen, die in christlichem, jüdischem und islamischem Umfeld entstanden sind. Deutschsprachige Texte werden im Original ihrer historischen Sprachstufen behandelt, fremdsprachige Texte in modernen deutschen Übersetzungen. Die Auswahl umfasst u. a. die hochmittelalterlichen Versdichtungen ‚Lai de Lanval‘ (Altfranzösisch, Marie de France), den ‚Schwanritter‘ (Mittelhochdeutsch, Konrad von Würzburg) und ‚Peter von Staufenberg‘ sowie die frühneuzeitliche ‚Mayse fun Vorms‘ (Jiddisch, „Erzählung von Worms”), ‚Melusine‘ (Frühneuhochdeutsch, Thüring von Ringoltingen) und den Abenteuerroman ‚Hasan von Basra‘ (Arabisch, aus ‚Tausendundeine Nacht‘).

Kurze Referate zu den Texten und zu ihren kulturell-religiösen Kontexten begleiten die Lektüre. Regelmäßige Teilnahme wird erwartet.