Wenige Begriffe der Literaturwissenschaft sind so vorbelastet und erfahren derart häufig Neuaushandlungen wie der des „Realismus“: Wo sich ein Poetischer Realismus noch dezidiert gegen den Idealismus Schillers und die Poetik der Romantik wendet, stehen herkömmliche Erzählweisen einer ‚der Wirklichkeit verpflichteten Darstellung‘ spätestens in der literarischen Moderne auf dem Prüfstand. Gerade mit dem realistischen Roman ist eine Form benannt, deren Bestimmung literaturhistorisch immer umkämpft war – bis in die Gegenwart (Politycki, „Relevanter Realismus“; Wood, „Hysterical Realism“; Shields, „Reality Hunger“). Von emphatischer Bezugnahme bis hin zur despektierlichen Herabwürdigung reichen dabei die Positionierungen gegenüber einem Begriff, dessen unterschiedliche Facetten, Stoßrichtungen und Ausprägungen oftmals nur schwer voneinander zu trennen sind.Das Seminar macht es sich zur Aufgabe, dieser literaturwissenschaftlich komplexen Lage zu begegnen und sich einen systematischen Überblick über Geschichte, Theorien und Konzepte des Realismus zu erarbeiten. Anhand einer historisierenden Perspektivierung soll eine Erschließung zentraler Begriffe wie Verklärung und Mimesis, Widerspiegelung und Verfremdung oder Oberfläche und Tiefe erfolgen, die dabei hilft, das Verständnis eines der zentralen Begriffe der germanistischen Literaturwissenschaft zu schärfen. Das lektüreintensive Seminar behandelt dabei literarische Texte vom 19. Jhd. bis heute (u.a. Keller, Döblin, Wolf, Randt) sowie zentrale theoretische Forschungsartikel und programmatische Schriften.
Die Textgrundlagen werden online zur Verfügung gestellt, einzelne anzuschaffende Lektüreausgaben werden in der ersten Seminarsitzung bekanntgegeben.
- Dozent/in: Philipp Ohnesorge