Im 17. Jahrhundert, der Zeit also, die wir gewöhnlich mit dem literaturgeschichtlichen Epochenetikett ‚Barock‘ versehen, entwickelt sich im deutschsprachigen Raum eine neuartige, eigenständige Form des Theaters: das barocke Trauerspiel. Diese Theaterstücke, welche in der deutschen Volkssprache und nicht mehr im gelehrten Latein verfasst sind, interpretieren die alteuropäisch-aristotelische Dramentradition neu und bringen zeitgenössische Probleme wie den Diskurs um Macht und Herrschaft, die Frage nach Schicksal und Vorsehung oder das soziale Rollenverständnis von Untertanen und Fürsten in neuartiger Form zur Darstellung. Dabei setzen sich die zeitgenössischen Autoren auch immer wieder intensiv mit der Theorie des Theaters und seinen möglichen Gestaltungsformen auseinander. Im Seminar werden wir barocke Trauerspiele von Andreas Gryphius (1616-1664), Daniel Casper von Lohenstein (1635-1683) und anderen lesen und ihre poetologischen und historischen Kontexte herausarbeiten. Dabei werden wir uns auch intensiv mit den verschiedenen Positionen der Literaturwissenschaft zu diesem Komplex beschäftigen – Walter Benjamins berühmte Studie „Ursprung des deutschen Trauerspiels“ (1928) wird hier ebenso eine Rolle spielen wie neuere Ansätze der literaturwissenschaftlichen Frühneuzeitforschung.