Obwohl der Umgang mit dem Anderen und Fremden eines der Hauptthemen der Geisteswissenschaften – von der Philosophie, Ethnographie, Psychoanalyse bis zur Literatur- und Kultur-wissenschaften – ist, erschienen erst in den 1990er Jahren die interdisziplinären Gesamtdarstel-lungen der Alterität, z. B. in Form eines Readers. Doch die Beschleunigung der Globalisierung, Migrations- und Flüchtlingsbewegungen nach dem Ende einer bipolaren Welt machten die in-terkulturelle Kompetenz zu einem zunehmend wichtigen Bestandteil einer universitären Aus-bildung, wenn nicht zu einer kritischen Schlüsselqualifikation in einer Welt der Spät- bzw. Postmoderne, die immer wieder durch Kriege, wirtschaftliche und ökologische Desaster erschüttert (werden) wird. Der Mangel an einer systematischen Auseinandersetzung mit dem Thema ist besonders in der Slawistik spürbar, und das obwohl Osteuropa schon immer eine kulturelle Transit- und Kontaktzone zwischen Ost und West, Nord und Süd war, ganz zu schweigen von den zahlreichen slawischen Diasporas, die weltweit, darunter auch in Deutsch-land, entstanden sind. In unserem Seminar werden wir uns mit dieser Lücke beschäftigen und die wichtigsten Ansätze der Alteritätsforschung kennenzulernen. Dabei wird die aktuelle The-oriedebatte mit einer breiten Palette kultureller Phänomene aus Osteuropa kombiniert und ver-anschaulicht. Von der Ästhetik der Romantik bis zu Fantasy („Wächter der Nacht“, 2004), Jazz, Rock-n-Roll oder Hip-Hop – die osteuropäische Geschichte war nicht nur reich an eigener The-orieentwicklung (z. B. Michail Bachtin, Juri Lotman), sondern ein Raum intensiver kultureller Mimikry, Übersetzung und Hybridisierung in einer lange eurozentrischen, aber zunehmend plurizentrischen globalen Welt.