Als Anthropozän bezeichnete der Nobelpreisträger für Chemie Paul Crutzen zur Jahrtausendwende jenes neue Erdzeitalter, in dem der Mensch signifikante Spuren hinterlässt. Für Bruno Latour stellt die Tragödie des Ödipus die Matrix des Anthropozäns dar: der Mensch, der bis in das 20. Jahrhundert hinein, unwissentlich die Parameter unseres ökologischen Dasein veränderte, und damit Schuld an der Klimakatastrophe und eines der größten Artensterben der Geschichte trägt.

Das Seminar fragt, ob mit dem Zusammenbruch der Unterscheidung zwischen Naturgeschichte und Menschheitsgeschichte (Dipesh Chakrabarty) eine Renaissance des Tragischen einsetzt. Denn nicht nur Geschichte kommt wieder in Gang, wie Latour schreibt, auch für die Kunst und insbesondere das Theater mit seiner antiken Tradition impliziert die Neufassung  des Geschichtsbegriffs enorme Konsequenzen. Zwar gingen die Thematisierungen des Naturschönen, aber auch der Naturbeherrschung traditionell von konstanten ökologischen Rahmenbedingungen aus, doch besaß die Tragödie mit dem Patronat des Dionysischen stets eine enge Beziehung zu Natur und Metamorphose. Die basalen Bestimmungen der Tragödie dienen dem Seminar als Ausgangsbasis, um einen strukturellen Entwurf des anthropozänen Kunstwerks zu konstruieren.