Während in Mittel- und Westeuropa vor allem Atlantis ins Spiel kommt, wenn von im Meer versunkenen legendären Städten die Rede ist, sorgt in Ost- und Ostmitteleuropa der Mythos von der versunkenen Stadt Kitez/ Switez für Furore. Im Unterschied zur von Platon und Herodot jenseits der Säulen des Herakles verorteten reichen Handelsstadt Atlantis, deren Bewohner aufgrund ihrer unsittlichen Lebensweise Opfer antiker Gottheiten und der von ihnen befehligten Naturgewalten wurden, soll Gott die Bewohner von Kitez auf ihr Flehen und inständiges Beten hin bei einem Überfall während des sog. Tatarensturms gerettet und auf den Grund des Sees Svetlojar versetzt haben. Wer Buße tue und Gott tief im Herzen trage, so die ursprünglich vor allem in Altgläubigenkreisen verbreitete Legende, könne in die unterirdische Stadt, eine Art Himmlisches Jerusalem, eingehen und an ihren paradiesischen Zuständen teilhaben.
Im Seminar wollen wir der Frage nachgehen, was slawische Dichter, Künstler, Filmemacher und Theaterleute angefangen von frühen Chronisten über Korolenko und Prisvin, Rimskij-Korsakov, Bilibin und Gippius bis hin zu Cvetaeva und Glazunov an dem vielschichtigen Mythos fesselt und welche subtilen Ausformungen er im Laufe der Zeit erfahren hat.
Neben an ästhetischen Grenzerfahrungen Interessierten, kommen auch Geschichtsinteressierte auf ihre Kosten. Wir fragen nach den historischen Funktionen, die dem Mythos als utopischem Gegenstück zum realen Moskauer Staat zugedacht werden. Das gilt auch für zeitgenössische Ideologien, die dem Mythos neues Leben einhauchen.
- Dozent/in: Ute Marggraff