Zu Warschau als Musikstadt sind in den letzten Jahren zahlreiche Forschungen erschienen, in denen die Stadt als wichtiger Ort europäisch-polnischer oder deutsch-polnischer Verflechtungen und Transfers herausgestellt wird. Ob es sich um die Aufführungen von Opern Johann Adolf Hasses im Warschau der 1750er und 1760er Jahre unter August dem Starken handelt, die Verbindungen von Fryderyk Chopin oder Wanda Landowska mit Wien und Paris, die Berliner Studienaufenthalte wichtiger Vertreter der polnischen Sinfonik um 1900 wie Ignacy Jan Paderewski oder Karol Szymanowski in Deutschland oder um oder um die Präsenz Henryk Góreckis, Krzysztof Pendereckis und Witold Lutosławskis bei den Darmstädter Ferienkursen – Warschau war im Verlauf der Musikgeschichte seit Mittelalter und Renaissance nicht nur ein wichtiger Ausgangs- oder Anlaufpunkt für italienische Musiker, internationale Karrieren von Komponist:innen und Interpret:innen sowie für die Netzwerke zeitgenössischer Musikkomposition. Sie hat ihren festen Platz auch in musikalischen und musiktheatralen Rezeption der deutsch-polnischen Geschichte, Beziehungen und Verständigung, man denke nur an Arnold Schönbergs Kantate Ein Überlebender aus Warschau op. 46 von 1947, Gerhard Rosenfelds, Philipp Kochheims und John Dews 1997 uraufgeführte Oper Kniefall in Warschau oder auch den Film Der Pianist (Roman Raymond Polański 2002).

Im Seminar mit Studienexkursion sollen diese Forschungsbereiche der deutsch-europäisch-polnischen Musikgeschichte und ihre politische Valenz anhand einer Auseinandersetzung mit dem historischen und gegenwärtigen Warschauer Musikleben näher erschlossen, aber vor allem auch erweitert werden. Welche Prägung hatte denn Warschau im 18. Jahrhundert genau als Musikstadt, als August der Starke sich hier von Dresden aus auf seine Zweitresidenz zurückzog, z.B. in Bezug auf das populäre Musiktheater? Wie veränderten sich die Aufführungsbedingungen für Klaviermusik durch die internationalen Erfolge Fryderyk Chopins und wie wurde seine Musik in Warschau rezipiert? Welche Auswirkungen hatten der deutsche Nationalsozialismus und die Besatzung der polnischen Hauptstadt auf das Warschauer Musikleben und welche musikalischen Ausdrucksformen spielten beim Warschauer Aufstand und dem Aufstand im Warschauer Ghetto eine Rolle? Inwiefern sind die historischen Verflechtungen und Ausprägungen auch im heutigen Musikleben Warschaus immer noch erkennbar? Welche politischen Aspekte der deutsch-polnischen Beziehungen spielen dafür eine Rolle?

Das Seminar besteht aus vorbereitenden Sitzungen und einer Exkursion nach Warschau innerhalb der Projektwoche (21.-25.5.2024). Vor Ort werden Institutionen wie Kirchen, Paläste, Theater und Museen besichtigt, die für die Warschauer Musikgeschichte zentral sind. Zudem werden maßgebliche Bibliotheken, Archive und Institute besucht, um Einblicke in Musiksammlungen und Forschungsgegenstände zu erhalten. Geplant ist ein Austausch mit Studierenden der Musikwissenschaft der Universität Warschau in Kooperation mit Dr. Aneta Markuszewska.

 

Mi, 9.4., 17-19 Uhr        Einführung Warschau als Musikstadt, Verteilung der Referate, Reiseplanung

Mi, 17.4., 12-14 Uhr      Musikalische Transfer- und Verflechtungsgeschichte (Textlektüre)

Di, 7.5., 17-19 Uhr         Urbane Musikkulturen: Forschungsansätze und -methoden (Textlektüre)

Di, 14.5., 17-19 Uhr       Musik & Politik, Musik in diplomatischen Beziehungen (Textlektüre)

21.-25.5.23                     Exkursion nach Warschau: Besichtigungen, Referate, Austausch

 

LITERATUR

Stefan Keym, Symphonie-Kulturtransfer: Untersuchungen zum Studienaufenthalt polnischer Komponisten in Deutschland und zu ihrer Auseinandersetzung mit der symphonischen Tradition 1867 – 1918, Hildesheim [u.a.]: Olms. 2010.

Alina Żórawska-Witkowska, “Between Dresden and Warsaw: The travels of the court of August III of Poland (Friedrich August II of Saxony)”, in: Musicology Today 6 (2009), S. 7-25.

Alina Żórawska-Witkowska, “Siroe re di Persia (Bologna 1733) und Siroe (Warschau-Dresden 1762/63) von Pietro Metastasio und Johann Adolf Hasse : ein stilistischer Vergleich”, in: Wolfgang Hochstein/Saskia Woyke (Hg.), Johann Adolf Hasses Musiktheater: Orte und Praxen der Aufführung, Bericht über das Internationale Symposion vom 13. bis 15. April 2018 am Forschungsinstitut für Musiktheater der Universität Bayreuth, (= Hasse-Studien. Sonderreihe 4), Stuttgart: Carus 2022, S. XX-XX.

Lisa Jakelski, Making new music in Cold War Poland: the Warsaw Autumn Festival, 1956-1968, Oakland, California : University of California Press 2017.

Halina Goldberg, Music in Chopin's Warsaw, Oxford/New York, NY: Oxford Univ. Press 2008.

Anna Parkitna, “Pursuing Enlightenment Delights: Processes and Paths of Italian Operatic Migrations to Warsaw, 1765–93”, in: Tatiana Korneeva (Hg.), Mapping Artistic Networks: Eighteenth-Century Italian Theatre and Opera Across Europe, Turnhout: Brepols 2022, S. 53-64.