Der Übergang von einer ästhetischen Formation zur anderen stellt an sich ein faszinierendes Phänomen dar – mit der Veränderung eines ästhetischen Codes entsteht eine neue Subjektivität (ein neues Selbst), ein neues Bild des Menschen, der Gesellschaft und Natur. Für die Kulturen Osteuropas war diese Transformation von besonderer Bedeutung, standen sie doch im Zeichen der Auseinandersetzung mit der französischen Revolution, der Industrialisierung und der Erfindung nationaler Gemeinschaften. Dennoch stießen die romantischen Vorstellungen von der Wirkungskraft eines Genies oder Volksnähe gerade in Osteuropa an ihre Grenzen, die mit den rückständigen politischen und wirtschaftlichen Verhältnissen zu tun hatten. Die Kulturschaffenden in Russland, Polen und in der Ukraine mussten sich auf lange Zeiten der politischen Reaktion und des Polizeistaats einstellen und ihre Ideale überprüfen. Diese, auf den ersten Blick unüberwindbaren Schwierigkeiten führten allerdings nicht nur zum Wechsel eines ästhetischen Paradigmas, sondern auch zur Entdeckung der Wirkungsmacht der Literatur und ihrer Funktion als Spiegel der gesellschaftlichen Zustände. In einer vergleichenden Lektüre werden die zentralen Texte des Übergangs von der Romantik zum Realismus diskutiert und zueinander in Beziehung gesetzt. Die konstitutive Bedeutung dieser Periode für die jeweiligen Nationalliteraturen macht sie für das Verstehen der Gegenwart in Osteuropa unentbehrlich.
- Dozent/in: Roman Dubasevych