Ausgehend von Deutungen der Geschichte als „Ereignis, Hergang oder Zufall sowie Erzählen von Geschehenem, werden mit Hyden White und Paul Ricoeur (ost-)slawische Mythen, Chroniken, Sagen und Legenden im Spannungsfeld von Fiktion und Wirklichkeit in den Blick genommen. Im Mittelpunkt stehen Texte, die wie die Nestorchronik oder die Sage vom Indischen Reich, eine oft im Dunkel der Geschichte liegende sagenhafte Vorzeit der Slawen konstruiert und auf unterhaltsame Weise phantasievoll ausgestaltet haben. Wir wollen einen Einblick in die vielfältigen Möglichkeiten der Ausgestaltung des Wechselspiels von Fakten und Fiktion gewinnen, indem wir antike, christliche und in der slawischen Mythologie wurzende Grundstrukturen aufspüren und ihrer Funktion in unterschiedlichen Diskursen der Entstehungs- oder Rezeptionszeit nachgehen. Dies erscheint nicht zuletzt deshalb bedeutsam, da ungeachtet der Behauptungen Lyotards vom Ende der sog. „großen Erzählungen“, die bereits ausgestorben geglaubten Narrative, in den gegenwärtigen Transformationsprozessen in immer wieder neuen Konstellationen erscheinen und so auch die kollektive Erinnerung prägen.