Im Bestreben, festzuhalten, was sie in der konfliktreichen sowjetischen Wirklichkeit der 1920er bis 1950er Jahre bewegte, wendeten sich Autoren, die von der dogmatischen Kulturpolitik und Zensurinstanzen angegriffen wurden, im Grenzbereich zwischen Publizistik und Literatur/ Kunst angesiedelten Genres zu. Zu solchen spätestens seit dem 18. Jahrhundert in der Literatur fest etablierten Formen zählen Briefe und Tagebücher, die, ergänzt um das jüngere Medium Fotografie, in der der Lage sind, zwischen Authentizität und Fiktionalität, zwischen Dokumentarischem und Reflexion, zwischen Öffentlichkeit und Privatheit zu changieren.Obwohl diese Texte in der russischen Literatur der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts oft an die Stelle der verbotenen Werke traten, blieben sie oft lange Zeit unbeachtet oder erfuhren lediglich als publizistische Selbstäußerung Aufmerksamkeit. Im Seminar wollen wir einschlägige Texte Prišvins, Zozuljas, Bulgakovs und Pasternaks und den in ihnen enthaltenen Prozess der historischen und ästhetischen Selbstverständigung in den Blick nehmen und erfassen wie im fiktiven geistigen Austausch zwischen den Künstlern und ihren Zeitgenossen, aber auch älteren Prätexten mit Hilfe die Grenzen des Sag- und Beschreibbaren in Krisenzeiten ausgedehnt und nach Visonärem Ausschau gehalten wird.
- Dozent/in: Ute Marggraff