Die Idee vom „Neuen Menschen“ als säkularisierte Variante des Gottesmenschentums ist eine der zentralen Grundlagen des utopischen Denkens, welches die europäische Geistesgeschichte nachhaltig geprägt hat. In der Sowjetunion wurde sie in Form des „homo sovieticus“ sogar zu einem wesentlichen Bestandteil der Staatsideologie. Gerade aber das Entstehen totalitärer Systeme sowie die nach den Erfahrungen des 1. Weltkriegs einsetzende Skepsis gegenüber technologischen Neuerungen versetzten dem Fortschrittsoptimismus des 19. Jahrhunderts einen gewaltigen Dämpfer. In der Literatur manifestiert sich diese Entwicklung in einer massiven Utopiekritik, die sich in Parodien auf utopische Texte ebenso zeigt wie im Aufkommen der Antiutopie. Aufgrund der politischen Gegebenheiten hatte die russische Literatur dabei eine Vorreiterrolle inne, bevor auch die anderen europäischen Literaturen langsam nachzogen. Im Seminar werden zunächst die Konventionen der utopischen Schreibweise erörtert, bevor der Umschlag von Utopie in Antiutopie nachvollzogen wird. Im Anschluss daran werden utopiekritische Texte aus dem 20. Jahrhundert analysiert, die sich ganz unterschiedlicher formensprachlicher Mittel bedienen. Die herangezogenen Beispieltexte stammen aus der russischen, der polnischen, der tschechischen sowie der englischen Literatur.
- Dozent/in: Andreas Ohme