Nach dem „Karneval der Revolutionen” (Padraic Kenney) in Mittel- und Osteuropa, dem die zermürbende ideologische Konfrontation des Kalten Krieges vorausging, schien der Kontinent endlich wieder zusammenzuwachsen und zu einem nachhaltigen Frieden gefunden zu haben. Die Militarisierung Russlands, der Ausbruch des Ukraine-Krieges mit der Annexion der Krim sowie die Verstärkung autoritärer Tendenzen selbst bei den Musterschülern der Transformation wie Ungarn und Polen ließen nicht nur die Erinnerungen an den Kalten Krieg wachwerden.

Die (Anti-)Renaissance sozialer und wirtschaftlicher Burgmentalität kam nicht zuletzt dadurch zustande, weil sich die rechtspopulistischen Bewegungen (auch im „alten” Europa) als Beschützer der kleinen Leute, Tradition und Identität präsentierten. Anhand exemplarischer Texte und Kulturphänomene aus Russland, Polen, Deutschland und aus der Ukraine lernen wir die aktuellen Konfigurationen der jeweiligen Identitätsdebatte kennen und verstehen, wie der Begriff „Identität” seine emanzipatorische Aufladung verlieren und zu einem extremistischen Kampfspruch mutieren konnte. Das gemeinsam erarbeitete Verstehen soll dabei weniger zur bedingungslosen Akzeptanz real- und geopolitischer Machtverhältnisse oder zu einem wirtschaftlichen Opportunismus führen als zu einem Hinterfragen dieser Entwicklungen mithilfe moderner kulturwissenschaftlicher Theorien (Postkoloniale Theorie, Theorien der Alterität, Psychoanalyse, Cultural Studies) und künstlerischer Produktion.