Auch die polnische Literatur konnte sich der Faszination des Reisens und
der damit verbundenen Welt- und Selbsterfahrung nicht entziehen.
Bereits frühe Wallfahrts- und Pilgerberichte mischen faktuale und
fiktionale Narrative, wenn exotisch Anmutendes phantastisch überhöht
wird. In Renaissance und Aufklärung sprengen der Drang nach Menschen-
und Weltentdeckung die Grenzen des Sichtbaren. Es entstehen kunstvolle
Raumwelten, die von phantastischen Wesen besiedelt sind und sich
poetisch- sinnhaft auf Reales und eine vorgestellt Zukunft beziehen
lassen. Auftaktig skizziert, ermöglichen diese Zusammenhänge einen
Einstieg in das 18./19. Jh., die mit neuen Literaturbegriffen
spielerisch-subversiven Ausformungen des Reisens in Memoiren,
Erzählungen, Novellen und Romanen Impulse verliehen haben. In den Blick
genommen werden Autoren, die wie I. Krasicki, Jan Potocki, A. Mickiewicz
oder Ju. Slowacki nicht zuletzt aufgrund äußerer Umstände viel reisten
und zu literarisch verdichteten und poetisch überhöhten
Auseinandersetzung mit sich „Selbst” und dem „Anderen” neigten. An der
Wende vom 19. zum 20. Jh. erkundet Sienkiewicz als Journalist sowohl
Afrika, als auch Amerika und legt mit „Latarnik” einen gut lesbaren Text
vor, der seinen in Polen und Deutschland popularisierten und aufgrund
ihrer Anleihen bei Scott und Duma vielgeschätzten historischen Romanen
in nichts nachsteht. Auch die gleichnamige Fluchtutopie Izabela
Filipiaks spornt mit ihren provozierenden Abweichungen zu den Mustern
der Vorgänger zur vertieften Lektüre an. Wie auch Joanna Bator in
„Chmurdalia” thematisiert sie die Unbehaustheit des modernen Menschen im
20. und 21. Jh’s und bringt damit die Gattung zumindest für den
Erkenntniszusammenhang des Seminars zu einem Abschluß.
- Dozent/in: Ute Marggraff