Das wachsende Forschungsfeld der Kulturwissenschaften wird hauptsächlich mit einem Korpus an theoretischen Ansätzen in Verbindung gebracht – Strukturalismus, Psychoanalyse, Marxismus und feministische Theorie, Diskursanalyse sowie mit einem Bündel an diversen postmodernen Entwicklungen einschließlich der Postkolonialen Theorie, Medienwissenschaften und Popkultur-Forschung. Zugleich entstand dieser autonome und kosmopolitische Kanon in bestimmten kulturellen Konstellationen und spiegelt deren spezifische historische Situation. In dieser Hinsicht stellt Ost- und Mitteleuropa eine besondere Herausforderung dar. Einst Wiege einer Vielzahl moderner Kulturtheorien wie des Strukturalismus, Anthropologie und Psychoanalyse verschwand diese Region in den letzten Jahrzehnten zunehmend von der Karte geisteswissenschaftlicher Innovationen. In unserem Seminar werden wir zunächst die kulturellen Urszenen der einzelnen Beiträge rekonstruieren. Ein beachtlicher Teil dieses Wissens wurde auf dem Trümmerfeld großer europäischer Reiche generiert, tief geprägt durch die Erfahrungen des Konflikts, der Krise, aber auch friedlicher Koexistenz und des Dialogs. Nach ihrer kulturellen Kontextualisierung werden wir einerseits der Frage nachgehen, welche Kombination von Lesepraktiken heute für das Verständnis dieser faszinierenden Region erforderlich ist. Andererseits werden die neuen Theorieanleihen aus den westlichen Forschungsstätten durch das Prisma des Kulturtransfers betrachtet, um zu verstehen, was mit dem Wissen während seiner Migration und Hybridisierung quer durch die Kulturen passiert. Mit dem Fokus auf Strukturalismus, Psychoanalyse und Postkoloniale Theorie werden wir nicht nur die Mechanismen der Theoriebildung besser kennenlernen, sondern selbst zum Theoretisieren angeregt.